Gender-Gaga? Nö! Stattdessen ganz sachlich und differenziert, das geht nämlich auch. Glaubst du nicht? Dann mach’s dir bequem und gib diesem Artikel eine Chance.
Short Story (was kann dieser Artikel?)
Gendern kann nerven – aber du willst doch bestimmt auch eine Sprache benutzen, die niemanden verletzt und alle einschließt, oder?
Denn: Das Generische Maskulinum ist nicht neutral (Studien gibt’s unten)
Ein Traum-Lösung wäre ein generisches Neutrum, das wirklich generisch ist und alle gleichermaßen einbezieht. Das ist allerdings (noch) unrealistisch
Was also bis dahin tun? Gendern – aber so easy, dass es dir gar nicht schwerfällt (versprochen)
Jede Gender-Art hat Vor- und Nachteile – zum Beispiel ist Gendern nicht immer inklusiv (unten gibt’s eine Aufzählung)
Gendern, wie es jetzt ist, ist sicher keine Lösung – das alles ist ein langer Prozess
Was jede einzelne Person machen kann? Überlegen, wer angesprochen werden soll und dementsprechend reagieren
Auch ziemlich cool: Mit neutralen Formulierungen schließt du niemanden aus, musst dir aber auch keine Gedanken um Sonderzeichen und Co machen (unten gibt’s ein paar Beispiele)
Long Story
Wäre das hier ein Seminar, würde ich jetzt erst einmal fragen, wie du zum Thema Gendern stehst. In meiner „Bubble“ – Medienschaffende, aufklärende Aktivist:innen bei Instagram, eher jüngere Menschen – ist die Meinung meistens recht eindeutig: Alle wollen möglichst inklusiv sein, also auch in der Sprache möglichst alle miteinbeziehen.
Die Mehrheit der Deutschen lehnt Gendern ab – warum?
Außerhalb der eigenen Bubble sieht es ganz anders aus: Die Mehrheit der Deutschen legt nämlich keinen Wert aufs Gendern oder ist davon genervt. So sagten 71 Prozent der Befragten im ZDF Politbarometer (Juni 2021), die Verwendung von Gendersternchen und Sprechpausen sei „nicht gut“, 48 % finden das Thema „geschlechtergerechte Sprache“ nicht wichtig. Auch eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Zwei Drittel der Befragten lehnen die Verwendung einer gegenderten Sprache in Medien und der Öffentlichkeit ab.
Bäm! Viele, viele Menschen in Deutschland sind also gegen das Gendern oder finden es unwichtig – das lässt sich nicht von der Hand weisen.
Ich glaube aber, so ganz stimmt das nicht. Ich bin mir sicher, würde man Menschen auf der Straße fragen, ob sie mit Sprache andere Menschen aktiv ausschließen, vielleicht verletzen, möchten, würden sie nein sagen.
Meiner Meinung nach blockieren viele Menschen schon bei dem Wort „Gendern“. Die Debatte ist extrem hitzig, emotional und geht weit über das eigentliche Thema hinaus. Das Gender-Sternchen dient als Projektionsfläche und wird häufig für eigene Zwecke instrumentalisiert.
Typische Narrative von Gender-Gegner:innen
Schauen wir uns doch mal ein paar Beispiele an: Unter dem Hashtag #gendergaga findet man extrem viele Memes und Beiträge von Personen, die gegen das Gendern sind. Meistens lassen sich alle Beiträge auf dieselben Narrative herunterbrechen: Angriff auf die eigene Geschlechtsidentität ("Mutter & Vater statt Elternteil"), Angriff durch Sprachwandel ("Ihr klaut uns die Sprache", Gendern = politisches Statement ("linksradikal", "grünversifft"), Gendern als Luxusproblem / Manipulation / Ablenkung ("Wohlstandsprobleme", "fürs Gendern wird Geld verschleudert und unsere Kinder verhungern").
Debunking von Anti-Gender-Argumenten
Argumente, die sich gegen das Gendern richten, kann man meistens in drei Kategorien einteilen:
Praktikabilität: Man weiß nicht, wie man richtig gendern soll / Sprache wird sperrig
Persönliches: Gender-Gaga, Gleichmacherei, Angriff auf die eigene Geschlechtsidentität, Politisches („Ihr klaut uns unsere Sprache“ / Gendern als Ideologie, „radikal links“ oder „grünversifft“)
Zweifel an Bedeutung der Sprache: Bemühungen um gendergerechte Sprache als überflüssig und lächerlich; Gendern als Luxusproblem
Dass das Gendern manchmal sperrig und komplex ist, ist nicht abzustreiten. Ich schreibe als Redakteurin und freie Journalistin täglich Texte und stoße beim Gendern oft an meine Grenzen – gerade, wenn es um mehr als ein Substantiv geht („ein/e gewisse/r Journalist:in mag ihre/n Kaffee schwarz“). Dafür gibt es aber ganz einfache Tricks, die ich euch weiter unten zeige.
Was man auch sagen muss: Alles Neue ist erst einmal ungewohnt, doch Sprache ist dynamisch und stetig im Wandel. Oder kanntet ihr schon als Kinder Wörter wie „lit“, „Querdenker:innen“ oder habt Wörter durch Emojis ersetzt? Das Hirn mag Bekanntes und braucht etwas, um sich an neue Dinge zu gewöhnen – Gendern, besonders Gesprochenes, braucht also einfach etwas Übung (und: Wer sich partout gegen die Sprechpause (=Glottisschlag) wehrt, muss wohl auch Probleme mit „Spiegelei“ und „überall“ haben).
Argumente aus der Kategorie „Persönliches“ sind genau das: Subjektiv, unsachlich polemisch.
Zum dritten Punkt gibt es einige Studien, die zeigen, was Gendern tatsächlich bewirken kann bzw. welche Auswirkungen das generische Maskulinum hat.
Es gibt aber trotzdem einige valide Argumente gegen das Gendern – Details gibt es weiter unten in den Pro-/Contra-Listen.
Komplexität: manche Gender-Arten sind nicht kompatibel mit leichter Sprache und können daher benachteiligend wirken
Inklusivität: manche Gender-Arten (Beid-Nennung) schließen nichtbinäre Personen aus, andere Arten (Sonderzeichen) sind nicht barrierefrei
Welche Gender-Arten gibt es und was sind ihre Vor- und Nachteile?
Grob lassen sich alle Gender-Arten in vier Kategorien einteilen:
Generisches Maskulinum (alle Journalisten)
Beidnennung mit Verkürzungen und Binnen-I (alle Journalisten und Journalistinnen; alle Journalist/-innen; alle JournalistInnen)
Gender-Zeichen (alle Journalist:innen; Journalist*innen; Journalist_innen)
Neutralisierungen (alle Medienschaffenden, die Presse)
Gehen wir doch einmal kurz alle Arten und ihre Vor- und Nachteile durch.
1. Das generische Maskulinum
Pro:
Einfach zu nutzen, es muss sich nichts verändern
In der Theorie schließt es alle ein (Konsens vieler Forschender: ideal wäre eine funktionierende, tatsächlich generische Lösung)
Lenkt Fokus weg vom Geschlecht
Contra:
Es gibt viele Studien, die zeigen, dass das generische Maskulinum nicht neutral ist
Frauen und nichtbinäre Personen sind nicht sichtbar
Braucht immer Kontext bzw. Interpretation
Tatsächlich ist das generische Maskulinum eines der am besten untersuchten sprachlichen Felder der Sprachwissenschaft. Es gibt viele Studien zum Thema, hier kommen drei ausgewählte:
Studien zum generischen Maskulinum
Stahlberg und Sczesny (2001): Studierenden wurden die Fragen „Wer ist Ihr liebster Romanheld?“, „Wer ist Ihre liebste heldenhafte Romanfigur?“ und „Wer ist Ihr liebster Romanheld, Ihre liebste Romanheldin?“ gestellt. Ergebnis: Bei der Formulierung im generischen Maskulinum werden deutlich mehr Männer genannt. Gygax et al. (2008): „Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof. Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.“ Satz hat Irritationspotenzial und wurde mit „trugen mehrere der Männer“ als sinnvoller eingestuft. Bedeutet: Maskuline Formen werden im Deutschen nicht generisch, sondern spezifisch interpretiert Vervecken und Hannover (2015): Kindern wurden 16 Berufe („typisch männliche“ wie Automechaniker:in, „typisch weibliche“ wie Kosmetiker:in und neutrale wie Sänger:in) in rein männlicher, weiblicher und Doppelform genannt, sollten in Bezug auf Anerkennung und Gehalt eingeschätzt werden. Ergebnis: Bei rein männlicher Nennung wurden Berufe als am schwierigsten erlernbar und am besten bezahlt eingestuft. Bei Nennung beider Formen glaubten auch Mädchen, „schwierige“ Berufe erlernen zu können und Jungen konnten sich eher Berufe wie Kosmetiker vorstellen.
Mein Fazit: Das generische Maskulinum ist nicht neutral, sondern weckt größtenteils männliche Assoziationen. Meine Meinung: Wir sollten es so gut es geht vermeiden.
Pro und Contra: Beid-Nennungen
Pro:
Macht Frauen sichtbarer (zum Beispiel in Stellenanzeigen): Frauen fühlen sich angesprochen und bewerben sich nachweislich häufiger
Unterbindet Geschlechterklischees (Ärzte und Krankenschwestern)
Gut für leichte Sprache, von Älteren und Konservativen akzeptierter
barrierefrei bei Sprachausgabe
SEO-kompatibel
Contra:
Bezieht nichtbinäre Menschen nicht ein
Wird bei Mehrfachnennung oft sperrig
Im Journalismus geht‘s manchmal um wenige Zeichen
Betont Unterschied der Geschlechter, auch wenn er im Kontext nicht relevant ist
Mein Fazit: In meinen Blog-Beiträgen, bei Instagram und Co versuche ich, Beid-Nennungen zu vermeiden. Manchmal sind sie aber die richtige Wahl – wenn explizit Frauen angesprochen oder Geschlechter-Klischees vermieden werden sollen (zum Beispiel im Gesundheitsressort von Frauenzeitschriften, damit nicht immer nur Ärzte genannt werden).
Pro und Contra: Gender-Zeichen
Pro:
Schließt alle mit ein: Leerstelle soll bewusst Freiraum sein
Aktive Irritation der Sprache regt zu Reflexion an
Contra:
Kann Sprachfluss und Schriftbild stören, ist ungewohnt und gehorcht keinen anerkannten Rechtschreib-/Grammatik-Regeln
(Muss man aktiv üben (Glottisschlag)) (eigentlich kein valides Argument)
Nicht immer inklusiv (Sprachausgaben lesen manchmal das Zeichen; nicht kompatibel mit leichter Sprache)
Wird kompliziert, wenn es um mehr als das Substantiv geht
Mein Fazit: Puh, schwierig! Ich persönlich gendere viel mit Doppelpunkt, weil ich möglichst viele Menschen einbeziehen möchte. Allerdings spreche ich aus der Sicht einer Cis-Frau – ich kann nicht für nichtbinäre Menschen sprechen. Dass Sonderzeichen wohl meist nicht barrierefrei sind, ist ein großes Problem.
Pro und Contra: Neutralisierung
Pro:
Betont kein Geschlecht
Keine Schwierigkeiten mit Satzbau etc. wie bei Sonderzeichen
Keine Wiederholungen wie bei Beidnennung, weniger Platz
(wird nicht als Gendern erkannt)
Contra:
Teilweise müssen neue Wörter geschaffen werden oder man muss sehr kreativ sein
Male Bias: evt. reicht Neutralisieren nicht
Kann unpersönlich wirken
Fazit: Mein Favorit! Wenn das Geschlecht für den Kontext nicht von Bedeutung ist, muss es auch nicht genannt werden – vor allem nicht, wenn man mit der Nennung manche Personen ausschließt. Oft kann man nur durch kurzes Überlegen einen Satz wunderbar geschlechtsneutral schreiben – ganz ohne aktives Gendern! (Ist für mich das Trojanische Pferd im Gespräch mit Personen, die vehement gegen’s Gendern sind. See what I did there? Ich habe mich elegant um das Wort „Gender-Gegner“ bzw. „Gender-Gegner:innen“ geschlichen – so leicht ist es!)
Gendern ohne Gendern: So einfach geht’s
Um euch zu beweisen, wie easy man geschlechtsneutral schreiben kann, ohne sich mit Sonderzeichen und Wortwiederholungen rumschlagen zu müssen, kommen hier ein paar Beispiele:
Statt „Ihr werdet einer nach dem anderen eine Aufgabe lösen“: „Ihr werdet der Reihe nach eine Aufgabe lösen“
Statt „Helfer“: „Hilfskraft“
Statt „Lehrer“: „Lehrkraft“
„Meine Kollegen“: „Mein Kollegium“, „mein Team“
„Expertenwissen“: „Fachwissen“
„Informant“: „Quelle“
„Angehöriger“: „Familienmitglied“
Ich könnte ewig so weitermachen, aber die Botschaft ist klar, oder? Wer im Alltag neutraler schreiben will, ist nicht allein. Hier kommen zwei wahnsinnig tolle Angebote:
- https://www.genderleicht.de/textlabor-uebersicht/ (Praxis-Fragen plus Antworten)
- https://geschicktgendern.de (geschlechtsneutrales Wörterbuch)
Ansonsten hilft es mir oft, Artikel zu meinem Thema zu googeln und zu schauen, wie andere bestimme Wörter geschlechtsgerecht angepasst haben. Eine super Hilfe sind auch Synonym-Tools – oft liegt die neutrale Alternative nämlich ganz nah.
Mein Fazit zum Thema Gendern
Das generische Maskulinum ist nicht generisch, es erzeugt größtenteils männliche Assoziationen
Gendern hat (je nach Art) reale Auswirkungen, die über die reine Sprache hinausgehen: Es werden mehr Frauen mit einbezogen, Stellenanzeigen sind inklusiver, nichtbinäre Personen werden miteinbezogen
Trotzdem hat jede Art des Genderns auch Nachteile
Gendern regt Diskurs an
Wir sollten Sprache als Prozess begreifen, der durch Ausprobieren und über lange Zeit funktioniert
Man muss je nach Kontext und Zielgruppe entscheiden, weil es oft die Entscheidung zwischen Lesbarkeit (einfache Sprache, barrierefrei, Nicht-Muttersprachler:innen) und Inklusivität (nichtbinär) ist
Es gibt nicht DAS richtige Gendern. Gendern ist ein Prozess und bedeutet, situationsangemessen (und formatsangemessen!) und verständlich geschlechtergerecht zu kommunizieren
Wenn du bis hierhin gelesen hast: Wow, Respekt! Ich hoffe, du hast etwas gelernt oder verstehst zumindest meine Perspektive. Und ich hoffe, wenigstens eine Sache ist hängen geblieben: Es tut nicht weh, etwas sensibler mit Sprache umzugehen (niemand ist perfekt, hier zählt schon der Versuch!) und Sprache hat tatsächlich ganz reale Auswirkungen.
Lesetipps zum Thema Gendern
Du hast immer noch nicht genug? Dann kommen hier ein paar Lese- und Klicktipps:
(Größtenteils) sachliches Video mit Contra-Argumenten von Alicia Joe: https://www.youtube.com/watch?v=aZaBzeVbLnQ
Pro-Argumente von Teresa Reichl: https://www.youtube.com/watch?v=7o3kNYQSgtQ&t=163s
Duden: „Handbuch geschlechtergerechte Sprache“ (großartiges Handbuch, sehr detailliert und toll zum Nachschlagen, mit praktischen Übungen und Tipps)
Lucia Clara Rocktäschel: „Richtig gendern für dummies“ (kompakt und hilfreich)
https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/was-gendern-bringt-und-was-nicht/
https://www.genderleicht.de (richtet sich an Medienschaffende)
Reframing Gender: https://www.fes.de/themenportal-gender-jugend-senioren/gender-matters/artikelseite/reframing-gender
https://gedim.uni-koeln.de/sites/genderqm/user_upload/Leitfaden_geschlechtersensible_Sprache_5.Aufl
Und ganz zum Schluss noch ein Tipp an alle, die absolut gegen das Gendern sind: Wortspiele mit "innen" und "außen" sind wirklich, wirklich nicht so lustig wie ihr denkt.
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